31/05/2024
Eine von Vieren: Macodes sanderiana. Eine spannende Zeitreise in die Zeit Rudolf Schlechters
Eine von Vieren: Macodes sanderiana
Erstveröffentlichung im OrchideenZauber
2-2022, Jg. 15, dort mit vielen weiteren sehenswerten Abbildungen.
Kaiser-Wilhelms-Land. 1906-1909. Rudolf Schlechter ist im Auftrag des Kolonialwirtschaftlichen Komitees in Deutsch-Neu Guinea unterwegs und nutzt die Gelegenheit, sich seinem liebsten botanischem Spezialgebiet zu widmen: den Orchidaceen. Die orchideologische Ausbeute dieser Forschungsreise übertrifft all seine Hoffnungen, unter den Funden auch drei neu entdeckte „Blatt-Orchideen“ der Gattung Macodes. Bis heute sind diese Macodes-Arten kaum bekannt. Aber lesen Sie selbst, was Rudolf Schlechter 1914 in Die Orchideen von Deutsch-Neu-Guinea berichtet:
„Ich habe vier Arten in Deutsch-Neu-Guinea nachweisen können, von denen drei Arten sich als neu erwiesen und wohl sicher noch nicht in Europa in Kultur zu finden sind. Es wäre wert, besonders der Macodes pulcherrima Schltr. wegen eine besondere Expedition auszusenden mit dem Auftrage, lebendes Material nach Europa zu überführen, denn unter den „Blatt-Orchideen“ stellt sie zweifellos alles Bekannte in den Schatten.
Die Arten wachsen im Gebiete unter sehr verschiedenen Verhältnissen. M. sanderiana Rolfe ist die gemeinste Art. Sie ist schon in geringer Höhe anzutreffen und wächst mit Vorliebe auf humusbedeckten Felsen oder zwischen Felsspalten in den Bachtälern der Hügel und Berge, steigt allerdings auch in ähnlichen Lokalitäten bis zu 800-900m Höhe ü.d.M. empor. Meist wächst sie an schattigen Plätzen, doch habe ich auch Exemplare gesehen, die am Rande von Bächen auf Felsen in voller Sonne sehr schön gediehen und sehr intensiv gefärbte Blätter zeigten. M. pulcherrima Schltr. kommt auf hohen, täglich kalten Nebeln ausgesetzten Bergkämmen, an ziemlich steilen kalkhaltigen Abhängen, versteckt im Gebüsch wachsend vor. Die beiden anderen Arten M. obscura Schltr. und M. dendrophila Schltr. habe ich stets nur als Epiphyten in den Gabeln oder Astlöchern alter Urwaldbäume des Nebelwaldes gesehen. Besonders die letztere traf ich häufig an und zwar stets an solchen luftigen Standorten. Ihre dicken fleischigen Wurzeln bohren sich oft so fest in die Spalten der Rinde hinein, dass man nur mit Mühe ein unversehrtes Exemplar loslösen kann.“
Man kann Rudolf Schlechter nur um die gewaltige Natur beneiden, die er auf seinen Expeditionen erleben durfte. Er zahlte jedoch einen hohen Preis dafür. So ist bekannt dass er während seiner Neu-Guinea-Expedition gesundheitlich durch zahlreiche Fieberanfälle stark beeinträchtigt war. Als Liebhaber von Juwelorchideen kommt man schon ins Grübeln, wenn man liest wie Rudolf Schlechter seine Macodes pulcherrima beschreibt:
„Dies ist die prächtigste Blattorchidee, welche ich je zu Gesicht bekommen habe. Die Blätter sind sammetartig dunkel-grünbraun, mit auffallend stark verzweigten rosenroter Zeichnung. Die Blüten sind braun mit weissem Labellum und Columna. Die Art ist von M. sanderiana Rolfe ausser in der Blattzeichnung durch schlanke Blütenschäfte, durch die anders geformten Petalen und die Säule verschieden.“ Wir konnten leider trotz intensiver Recherche weder eine kolorierte Zeichnung noch ein Photo dieser so hoch gelobten Macodes finden. Bleibt allein die menschliche Phantasie um sich ein Bild dieser Schönsten aller Schönen zu machen. Oder findet sich doch ein moderner Abenteurer, der sich ins ehemalige Kaiser-Wilhelms-Land aufmacht um im Humus unter dem Gebüsch des Finisterregebirges auf etwa 1200 m Höhe Bilder dieser außerordentlichen Macodes zu schießen? Qui vivra, verra – Die Zukunft wird es zeigen!
Macodes sanderiana (Krzl.) Rolfe wurde 1895 in The Gardeners’ Chronicle XVIII auf Seite 484 als Anoectochilus sanderianus Krzl. erstbeschrieben. Spannend hierbei: Friedrich Kränzlin hatte von Herrn Sander lediglich zwei Blätter zugeschickt bekommen, mit deren Hilfe er die Erstbeschreibung der Macodes sanderiana vollzog. Herrn Kränzlin war bewusst, dass man die Beschreibung einer Art ohne die Beschreibung der Blüten nicht bewerkstelligen kann und vergab den Namen Anoectochilus sanderianus daher provisorisch. Die Gattung Anoectochilus ist jedoch in der Struktur ihrer Blüten grundverschieden von der Gattung Macodes und Herr Kränzlin hätte mit einem blühenden Exemplar sicher eine andere Zuordnung getroffen. Er war ganz offensichtlich fasziniert von der Schönheit der ihm überlassenen Blätter: “The two leaves I received from Mr. F. Sander belong undoubtedly to a new Anoectochilus, and are the most brilliant Orchid-leaves I have seen.” – Die beiden Blätter die ich von Herrn F. Sander erhalten habe gehören ohne Zweifel zu einer neuen Anoectochilus, und es sind die schönsten Orchideenblätter die ich je gesehen habe.
Macodes obscura Schltr. wurde von Herrn Schlechter auf Bäumen in den Wäldern des Dischoreberges auf etwa 1200m gefunden: „Eine äusserst kräftig wachsende Art mit sehr dunkel-sammetgrünen Blättern mit weisser Berandung. Sie ist mit M. dendrophila Schltr. am nächsten verwandt, aber durch die Form der Blätter, die Petalen und das Labellum sehr gut geschieden. Sehr charakteristisch ist der breite Vorderlappen des Labellums.“ Mit bis zu 45 cm Höhe und Blüten, die nahezu 3 cm im Durchmesser aufweisen muss Macodes obscura in der Tat eine beeindruckende epiphytische Juwelorchidee sein.
Die letzte im Reigen, Macodes dendrophila Schltr., ist ebenfalls eine Aufsitzerpflanze, die mit bis zu 40 cm Höhe nicht ganz so groß wie Macodes obscura wird, aber ebenfalls mit 3,5 cm Durchmesser beeindruckend große Blüten aufweist. Sie wurde auf Bäumen in den Wäldern des Kanigebirges auf etwa 1000 m Höhe und in den Wäldern des Finisterregebirges auf Höhen von 1000 bis 1200 m gefunden. Auch von dieser Juwelorchidee konnten wir keine Aufnahmen oder kolorierte Zeichnungen finden.
Macodes sanderiana ist unseres Wissens nach die einzige der hier vorgestellten vier Macodes Arten die für den Orchideenliebhaber zugänglich ist. Ähnlich wie Macodes petola ist sie im temperierten bis warmen Bereich bei ausreichend hoher Luftfeuchtigkeit zu pflegen. Wir verwenden zum Gießen Regenwasser, dem wir selten und nur in geringen Mengen Orchideendünger zugeben. Folgt man den Ausführungen Schlechters kann diese Art durchaus auch halbschattig gepflegt werden und verträgt nach Gewöhnung vielleicht sogar noch mehr direktes Sonnenlicht. Austrocken sollte das Substrat jedoch nie, und allzu nass darf es auch nicht sein. Macodes sanderiana kommt in Kultur bereitwillig zum Blühen, wobei wir die Blütenstände gerne kappen um der Pflanze nicht allzu viel Energie zu entziehen. Es ist jeden Tag aufs Neue eine Freude, die Blätter dieser wunderschönen Juwelorchidee mit ihrem prächtigen leichten Goldschimmer und den goldschimmernden, durch scharfe Quernerven verbundenen, starkleuchtenden Längsnerven zu betrachten!
Carlise und Eike Jauch